National feiern (Teil 1)

Der 11. Februar ist der japanische Nationalfeiertag. Und so gut wie jedes Jahr kam es ach diesmal von linksradikaler Seite zu Demonstrationen gegen das japanische Kaisersystem bzw. den japanischen Nationalstaat als solchen. Dem gegenüber stehen auch nationalistische Demos und Events von rechtsextremen Gruppen bzw. auch des Staates und ihm nahestehender Gruppen.

Doch warum demonstrieren Linke überhaupt gegen den japanischen Kaiser? Und was wird am japanischen Nationalfeiertag überhaupt gefeiert? Ich habe in Tokyo eine Demonstration besucht und versuche ein paar Antworten zu geben.

Ein Gaisensha (街宣車) genannter Kundgebungswagen, typisch für japanische rechtsextreme Gruppen. 11.2.2020 in Tokyo vor dem Bunkyo Civic Center

Vor dem Bunkyo Civic Center in Tokyo tummelt sich normalerweise eine Mischung aus TouristInnen und BewohnerInnen des Bezirks. Erstere wollen in erster Linie auf die kostenlose Aussichtsplattform im 25. Stock, für die BewohnerInnen ist es schlicht das lokale Amtshaus. Heute aber ist das Gebäude umringt von dutzenden Polizeibussen und noch noch viel mehr PolizistInnen der Kidōtai (機動隊), der japanischen Bereitschaftspolizei (Riot-Cops).

Im inneren des Civic Centers findet eine Versammlung linksradikaler Gruppen statt. Man lauscht unter anderem einem Vortrag des emerierten Uni-Professors Toshimura Ogura mit dem Thema „Der Rassismus der Kultur und Tradition“. Nach dem Vortrag planen die ZuhörerInnen noch zu einer Demonstration aufzubrechen.

Dutzende Polizeibusse in Bereitschaft vor dem Bunkyo Civic Center in Tokyo am 11.2.2020. Im Inneren der Busse sitzen PolizistInnen der Kidōtai genannten Bereitschaftspolizei.

Draussen vor dem Gebäude drehen in der Zwischenzeit rechtsextreme Gruppen in ihren Autos die Runden. Antikommunistische Slogans stehen, neben anderen nationalistischen Parolen, groß auf den Wägen der FaschistInnen. Auch alle möglichen Parolen gegen die linken „Vaterlandsverräter“ innerhalb des Civic Centers werden vom Stapel gelassen. Mich interessiert aber vor allem ein Wort das auf den rechten Transparenten zu finden ist: Kigensetu (紀元節), auf Deutsch soviel wie Reichsgründungstag.

Der Reichsgründungstag war eine wurde 1872 in Japan eingeführt und nach dem Wechsel zum Gregorianischen Kalender ab 1873 auf den 11. Februar festgelegt. Der Mythos besagt, dass just an diesem Tag im Jahre 660 ein Mann namens Jimmu von der Sonnengöttin Amaterasu zum ersten japanischen Kaiser ernannt wurde. So nebenbei war dieser Jimmu auch noch ein Nachfahre der Sonnengöttin, was ihn demnach zu einem Gott-Kaiser machte. Man braucht wohl nicht zu sagen, dass die bloße Existenz dieses Jimmu bzw. einer Sonnengöttin wissenschaftlich als Unfug, bzw. als Mythos belegt wurde.

„Den Kommunismus ausrotten“ und „Rückeroberung der Kurilen“ sind nur zwei der Slogans auf den Wägen der RechtsextremistInnen vor dem Bunkyo Civic Center am 11.2.2020 in Tokyo.

Jetzt möchte man meinen: „Okay, aber irgendwelche staatlichen Gründungsmythen und fast schon niedliche Legenden gibt’s doch überall, was ist jetzt so schlimm daran und wieso gehen deswegen Leute auf die Straße!?“ Nun, um das zu erklären, muss man sich die Gründe anschauen, wieso der Reichsgründungstag überhaupt eingeführt wurde. Und vor allem: Wenn der erste japanische Kaiser schon 660 gelebt haben soll, wieso zum Teufel wurde der Feiertag erst 1872 eingeführt?

Man muss sich vor Augen halten, dass Japan bis zum Jahr 1853 für über 200 Jahre ein komplett abgeschottetes Land war. Die damaligen Herrscher ließen (mit wenigen Ausnahme) keine Ausländer ins Land und so gut wie kein/e JapanerIn durfte ins Ausland reisen. Als die Isolation 1853 endete, setzte die neue Regierung alles daran Japan schnellstmöglich nach dem Vorbild westlicher Nationalstaaten zu verändern. Man war ja vor allem technisch im Mittelalter steckengeblieben und hatte deswegen Angst, man werde vom Westen kolonisiert. Beispiele dafür hatte man durch die vielen europäischen Kolonien in Asien zu Genüge.

Und so ein richtiger Nationalstaat braucht eben auch eine Staatsideologie. Doch diese musste man in Japan überhaupt erst einmal erfinden. Nach der Öffnung Japans sahen sich die meisten Leute in Japan nicht als „JapanerInnen“. Wenn schon, dann war man Untertan eines lokalen Herrschers. Aber Teil eines „Staatsvolks“? Wie sollte man sich da hinzuzählen, wenn schon alleine die Idee eines „japanischen Staates“ an sich etwas völlig neues und fremdes war.

So schuf die damalige japanische Regierung den Kaiser-Mythos. Dieser besagt, dass die Kaiserfamilie Japan schon seit Jahrhunderten ununterbrochen regiert. Dass der Tennō quasi immer schon die Zügel in der Hand Hatte und die Menschen ihn immer verehrten. Die Wahrheit aber war: Der Tennō war nur eine obskure religiöse Figur unter vielen, die allermeisten JapanerInnen hatten Mitte des 19. Jahrhunderts keine Ahnung, wer oder was dieser „Kaiser“ denn nun sein sollte.

Ein Mittel zur Durchsetzung dieses Mythos war eben auch die Einführung des Reichsgründungstages. Ab 1873 wurden an jedem 11. Februar nationalistische Aufmärsche abgehalten, das neue, das militaristische und von nun an als brutale Kolonialmacht geltende Japan wurde gefeiert. Die JapanerInnen wurden zu Kindern eines Gott-Kaisers, standen somit über dem Rest der Welt. Kein Wunder, dass diese Ideologie dazu führte, dass Japan zusammen mit Nazi-Deutschland und dem faschistischen Italien eine mörderische Achse bildete.

1945 wurde der Reichsgründungstag von den USA verboten. Zusammen mit der Rolle des Tennō als Gott-Kaiser. Zumindest auf den Papier wurde eine parlamentarische Demokratie eingeführt. Ein imperialistische, rassistische Diktatur aus Kaiser und Militärs sollte nicht mehr das Fundament sein, auf dem Japan steht.

In den nächsten Jahren war die Wiedereinführung des Reichsgründungstages eines der zentralen Anliegen der japanischen Rechten. Als federführend galt die nationalistisch-religiöse „Vereinigung der Shintō Schreine“ (神社本庁), die ideologisch an den soganannten Staats-Shintō anknüpft. Dieser wurde ebenfalls nach der Öffnung Japans propagiert um eine nationalistische, religiöse japanische Identität zu schaffen und galt als ideologischer Steigbügelhalter des Tennō-Systems.

Staats-Shintō-Ideologie im Tokyoter Yasukuni-Schrein, wo Kamikaze-Piloten als Helden verehrt werden.

Zwar stellt sich die Vereinigung der Shintō-Schreine gerne als friedliebende, unpolitische Organisation dar, ist aber von Anfang an mit der nationalistischen Regierungspartei LDP verwoben. Weiters gilt sie als eine der Vorgängerorganisationen des größten japanischen rechtsextremen Think-Tanks, der sogenannten „Japan Konferenz“, auch bekannt als Nippon Kaigi (日本会議). An dieser Stelle soll noch erwähnt werden, dass eine Reihe führender japanischer Regierungsmitglieder, zum Beispiel Premier Shinzo Abe selber, Mitglied des Nippon Kaigi sind.

Es dauerte bis 1966, bis das die Bewegung zur Wiedereinsetzung des Reichsgründungstages Erfolg hatte. Der 11. Februar war nun wieder Nationalfeiertag. Zwar hieß er nun schlicht etwas entschärft „Tag der Staatsgründung“ (建設の記念の日), aber zur nationalistischen Propaganda für nationalistische Gruppen taugte das allemal. Für linke und linksradikale Gruppen bedeutete dies eine langsame Rückkehr in ein Japan von vor 1945. Grund genug für Proteste.

Im zweiten Teil dieses Artikels gehe ich auf diesjährige linksradikale Demos gegen den Nationalfeiertag ein. Und ebenso genauer auf die Proteste von rechtsextremer Seite.

Linksradikale Anti-Nationaltags und Anti-Tennō-Demo in Tokyo, 11.2.2020

Ein Gedanke zu „National feiern (Teil 1)

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