Besetzung des Airin-Centers in Osaka

Ende März besetzten AktivistInnen, Obdachlose und TagelöhnerInnen das vor dem Abriss stehende „Airin Center“ in Osakas Elendsviertel Kamagasaki (釜ヶ崎). Das Gebäude ist seit den 70ern für hunderttausende Menschen Obdach, Zufluchtsstätte und Ort der sozialen und politischen Selbstorganisierung. Damit gibt es in Japan neben dem Yoshida-Ryō derzeit zwei aktive Hausbesetzungen.

Logo der Besetzung. Zu sehen ist ein Dampfkessel (Kama), welcher dem Stadtteil seinen Namen gibt.

Steigt man in Japans zweitgrößter Stadt Osaka bei der U-Bahn-Station Shin Imamiya aus, gibt es zwei Richtungen in die man gehen kann. Zumindest den Großteil der TouristInnen verschlägt es ins lebendige ArbeiterInnen-Kneipenviertel Shin Sekai (新世界) mit seinen unzähligen Lokalen, den StraßenmusikerInnen und dem Alkohol. Viel weniger Menschen aber gehen ein paar Meter auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo ein gewaltiger mehrstöckiger Betonklotz die Sicht auf Japans größtes Elendsviertel verstellt. Willkommen in Kamagasaki

Das Airin-Center, aufgenommen 2015 (Foto: Gregor Wakounig)

“Arbeiter-Wohlfahrts-Zentrum Airin“ steht in großen Lettern auf dem Klotz. Der durch die Stadt Osaka und den japanischen Staat in Auftrag gegebene Bau diente seit seiner Vollendung 1970 als Anlaufpunkt für hunderttausende TagelöhnerInnen und Obdachlose, eine sogenannte Yoseba (寄せ場). Sinn und Zweck seiner Errichtung war der Versuch einer teilweisen Regulierung des ArbeiterInnenstrichs, welcher in Kamagasaki das Straßenbild bis heute prägt. Im Inneren des Zentrums befand sich etwa ein Arbeitsamt, welches den TagelöhnerInnen und ArbeitgeberInnen anbot ihre Dienste auf eine legale Basis zu stellen. Dies war vor allem für de TagelöhnerInnen von immenser Bedeutung, schließlich erwarb man ab einer bestimmten Anzahl legal abgearbeiteter Tage den Anspruch auf staatliche Sozialleistungen.

Tagelöhner am Arbeiterstrich im April 2018 (Foto: @OpenKamaCenter)

Daneben gab Imbissbuden, Duschen und medizinische Versorgung. Vor allem aber bot das Airin-Center tagsüber Schutz vor Wind und Wetter, man konnte seine Kumpels treffen oder einfach nur eine Runde Shogi spielen. Nachts, als die Tore des Centers zugingen, schliefen hunderte Obdachlose unter dem Vordach des Gebäudes.

Doch obwohl neue Arten der Präkaren Arbeit den klassischen Straßenstrich weitgehend verdrängt haben, sieht man noch heute jeden morgen die Trucks vor vor dem Airin-Center anfahren und hunderte Männer auf die Baustellen der Stadt fahren. Insbesondere in den 90ern, als die japanische „Bubble Economy“ spektakulär platzte und hunderttausende Menschen fast über nacht arbeitslos wurden,waren es tausende, die nach Arbeit suchten. Am Abend ging es von der Arbeit wieder heim und die Männer übernachteten entweder in den Doya (ドヤ) genannten Billigabsteigen oder gleich auf der Straße. Bis heute sieht man in ganz Kamagasaki die typischen Behausungen der sogenannten No-juku-sha (野宿者). Einfachst zusammengebaute Hütten entweder aus Pappe oder auch solche aus Holz, die an Favelas erinnern. Der Japanologe Wolfgang Herbert schreibt in seinem Buch „Japan nach Sonnenuntergang“ von bis zu 20.000 Menschen, welche in den 90ern auf diese Weise in Kamagasaki wohnten.

Obdach los oder doch nicht? Kamagasaki, 2015 (Foto: Gregor Wakounig)

Warum besetzt?

Am 31.3. sollte das Erdgeschoß des Airin-Center endgültig geschlossen werden. Eben jener Bereich, welcher den Obdachlose und TagelöhnerInnen als Aufenthaltsort diente. Anstatt des Airin-Centers versucht die Stadt eine neue Institution in der Nähe zu etablieren. Bisher schaut diese Lösung so aus, dass ein paar wenige Bänke unter einem Zelt aufgestellt wurden. Ein Krasses Gegenteil zum belebten Airin-Center, welches von der teilweisen Selbstverwaltung durch die TagelöhnerInnen lebte. Laut AktivistInnen vor ort ist die einzige Person, welche das Ersatzzelt benutzt, der abkommandierte Secuity-Mann.

Der von der Stadt zur Verfügung erstellte Ersatz zum Airin-Center. Das Foto ist kein Scherz. (Foto: Rokusaisha)

Als Grund für die Schließung des Erdgeschoßes wird mangelnde Erdbebensicherheit angegeben. Angesichts der Tatsache, dass im ersten Stock des Airin-Centers immer noch die medizinischen Einrichtungen arbeiten, scheint diese Behauptung vollkommen aus der Luft gegriffen.

Am Tag der Schließung versammelten sich etwa 300 Personen im Airin-Center, blockierten die Schließung des Erdgeschoßes mittels ihren Körpern und hielten ein sogenanntes Takidashi (炊き出し) ab. Dabei handelt es sich um eine in ganz Japan verbreitete Art der Obdachlosenspeisung, bei welcher Obdachlose und AktivistInnen zusammen kochen und essen. Takidashis sind eines der wichtigsten sozialen und politischen Events bzw. Happenings innerhalb der japanischen Obdachlosenbewegung.

Mittlerweile ist das Airin-Center von mehreren hundert Personen besetzt und neben Takidashis findet auch ein Kulturprogramm statt. Bisher haben die BesetzerInnen drei Forderungen veröffentlicht:

1. Keine Schließung der Tore des Erdgeschoßes des Airin-Centers

2. Zugang zu den Toiletten und Badezimmern des Centers

3. Fortführung des Dialogs und Verhandlungen bezüglich der Zukunft des Airin-Centers

Transparente der Besetzung (Foto @OpenKamaCenter)
Flyer von den und Betten für die BesetzerInenn (Foto @OpenKamaCenter)

Ein Video von der Besetzung findet sich hier:

Die BesetzerInnen des Airin-Centers beklagen, dass die Schließung des Airin-Centers nur eine von vielen Gentrifizierungsmaßnahmen der Stadt Osaka sind, welche in letzter Konsequent auf die Zerstörung der über jahrzehnte gewachsenen, einzigartigen Kultur Kamagasakis ist. Der Stadtteil war schon seit den 50er Jahren Schauplatz einiger der größten und militantesten sozialen Kämpfe in Japan. Riots mit teilweise mehreren zehntausend TeilnehmerInnen prägten das Gesicht des Stadtteils über Jahrzehnte. Auslöser war, neben der allgemeinen schlechten sozialen Lage, oftmals auch Polizeigewalt gegenüber den BewohnerInnen. Noch heute erzählen ältere BewohnerInnen sichtlich stolz von den manchmal tagelangen Kämpfen mit der Polizei.

Der letzte große Kamagasaki-Riot ereignete sich 2008, just während des G8-Gipfels in Japan. Seitdem hat der Stadtteil zwar keine größeren milotanten Kämpfe mehr gesehen, sehr wohl aber gibt es immer noch eine Vielzahl von Festivals, Konzerten, Kundgebungen, Organisationen und Kneipen, die von TagelöhnerInnen oftmals zusammen mit linken, alternativen AktivistInnen auf die Beine gestellt werden. Kamagasaki gilt als „gefährlicher“ Stadtteil. Persönlich muss ich sagen, dass ich mich in Japan nirgends so wohl gefühlt habe wie dort.

2020 sollen in Tokyo olympische Spiele stattfinden. Mehrere Millionen ausländischer TouristInnen werden erwartet. In Tokyo kommt es deswegen schon seit Jahren zur gewaltsamen Vertreibung Obdachloser aus dem Stadtbild. Die Unsichtbarmachung dieses „unschönen“ und „dreckigen“ Japans begann in Osaka übrigens schon viel früher. „Kamagasaki“ wird man nämlich auf keiner Karte finden. Der Stadtteil wurde 1966 in Airin umbenannt. „Nachbarschaft der Liebe“ auf Japanisch. Benutzt wird dieser Name bis heute kaum von wem.

Link: Homepage der BesetzerInnen

2 Gedanken zu „Besetzung des Airin-Centers in Osaka

  1. Pingback: LabourNet Germany Wie Armut in Japan bekämpft wird: Durch polizeiliche Räumung eines sozialen Zentrums » LabourNet Germany

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