Nur ein Wort

Bis 2002 gab es mitten auf dem Campus der renommiertesten Universität Japans einen autonomen, gegenkulturellen und linksradikalen Ort. Das Koma-StudentInnenwohnheim. An seine Existenz erinnert heute nur noch ein kleiner Gedenkstein.

Gedenkstein an das Koma-Wohnheim. Komaba-Campus, Tokyo, 2020.

Die Geschichte der Hausbesetzungen in Japan ist im Westen kaum bekannt. Neben Elendsvierteln wie etwa Kamagasaki in Osaka oder Sanya in Tokyo waren und sind es auch heute noch Universitätscampusse, in denen kapitalistischer Verwertungslogik aktiv entgegengetreten wird und Orte zum Umsetzen gesellschaftlicher Alternativen geschaffen werden.

Eingang des Koma-Wohnheims, Nordeingang. Datum unbekannt. Bildquelle.

Einer dieser Orte war das Komaba-Wohnheim (駒場寮)、auch nur „Koma“ genannt, auf dem Campus der Tokyo Universität, meistens einfach „Tōdai“ genannt. Die Tōdai hat in Japan etwa den gleichen Stellenwert wie Harvard oder Oxford im Westen. Sie gilt als Elite-Uni. Wer hier seinen Abschluss macht, dem/der winkt ein Top-Job schon alleine weil „Tokyo Universität“ den Lebenslauf ziert.

Das Koma-Wohnheim existierte von 1949 bis zu seiner Räumung im Jahr 2002. Seit den 50er Jahren wurde es von den StudentInnen selbstverwaltet. Die hier lebenden Leute waren nicht nur für die Instandhaltung zuständig, sondern bestimmten auch wer einziehen durfte. Vor allem aber waren es die StudentInnen selber, die die Miete bestimmten. Das bedeutete, dass man zu einem Bruchteil der Tokyoter Durchschnittsmiete ein Bett direkt am Unicampus hatte.

Das Koma-Wohnheim war von Anfang an ein Zentrum linksradikalen Aktivismus und Gegenkultur. 1976 errichtete die Untergrund-Theatergruppe der „Traumvagabunden“ (夢の遊眠社) des heute weltberühmten Regisseurs Hideki Noda im Wohnheim etwa einen Theatersaal.

Die Avantgarde-Theatergruppe Obscure Gallery Narukami im Dezember 1997 bei einer Zusammenkunft im Koma-Wohnheim. Bildquelle.
Zwei Mitglieder der Avantgarde-Theatergruppe Obscure Gallery Narukami im Koma-Wohnheim, Dezember 1997. Bildquelle.

Mit den Jahren wurde die linke StudentInnenbewegung in Japan immer schwächer. Als Folge davon wurden auch viele linke StudentInnenheime nach und nach Geräumt, teilweise mit roher Polizeigewalt. Dem Koma-Wohnheim ging es ab 1995 an den Kragen, als die Uni einseitig den Zuzug neuer StudentInnen in das Wohnheim verbietet. Ab diesem Zeitpunkt ist das Wohnheim rechtlich gesehen besetzt. 1996 kommt es zu den ersten Räumungsversuchen durch die Campus-Security. Es bleibt beim Versuch. Im Jahr 2000 gibt das Gericht dann auch einer offiziellen Räumungsklage statt. Trotz abgestelltem Strom und Wasser und mehreren Räumungsversuchen durch die Campus-Security bleiben die BesetzerInnen.

Räumungsversuch durch die Campus-Security im April 1997. Bildquelle.
Widerstand von HeimbewonerInnen gegen den Räumungsversuch im April 1997. Bildquelle.

Die Räumung als solche passiert dann erst im Jahr 2002. Eine Taifun-Warnung wird ausgegeben (nichts seltenes in Japan) und die StudentInnen aufgefordert das Heim zu verlassen. Mittlerweile sind es zu wenige, um ernsthaften Widerstand zu leisten, durch den Taifun können kaum UnterstützerInnen mobilisiert werden. Das Wohnheim wird zur Gänze abgetragen. Die letzten paar BesetzerInnen harren noch bis März 2002 in einer eigens errichteten Zeltstadt aus, bis auch diese Geräumt wird.

Zeltsdtadt vor den Ruinen des Koma-Wohnheims. Bildquelle.

Dort wo einst das Heim stand, befindet sich heute die sogenannte „Communication Plaza“. Das Sicherheitspersonal zieht seine Runden. Anstelle des Untergrundtheaters baute die Universität eine „Mehrzweckhalle“. Der Eintritt für so manches Event ist saftig.

„Nach der Reform des Bildungssystems 1949 wurde die studentische Autonomie mit dem Komaba-Wohnheim fortgeführt“. Nur ein letztes Wort (‚Autonomie‘)
auf einem etwas ramponierten Gedenkstein, sowie ein Mauerstück sind es, die darauf schließen lassen, dass es hier einmal einen widerständigen Ort gegeben hat.

Ein paar weitere Bilder aus dem Inneren des Wohnheims kann man sich hier anschauen.

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