Punkrock und Hakenkreuze – Tage #6 und #7

Erstmal fett durchs Einkaufsviertel schlendern. Nagoya ist ja doch recht international, so scheint es.
Und danach ab zum Punk-Festival. Ob ich jetzt Nazipunkbands gesehen habe, ist mir immer noch nicht ganz klar…

Aufwachen, frisch duschen, Wäsche waschen und ab mit Youji, meinem Couchsurfing-Host nach Oosu, Nagoyas Einkaufs- und Vergnügungsviertel. Es blieben mir nur einige wenige Stunden bis das Punkfestival, wegen dem ich nach Nagoya gekommen bin, und außerdem lag die Konzertlocation gleich neben Oosu (das Einkaufsviertel). Also scheiss auf Sightseeing-Zeug und ab ins Vergnügen.
Youji hatte netterweise auch noch zwei japanische CouchsurferInnen kontaktiert, welche mit uns den Tag verbrachten. Eine war Englischlehrerin, von dem her konnten wir kommunizieren, die andere konnte nur Japanisch, war auch etwas schüchtern, deswegen haute das Reden ned ganz so hin.
Anyway, wir aßen also Kakigoori („shaved ice“ mit ganz viel Zuckerglasur) und bummelten so durch Oosu. Nichts besonderes, aber hey, ich bin nicht nach Japan gekommen um mir jeden Tag eine tolle touristische Attraktion zu gönnen 😛

Als wir essen gingen, rauchte ich außerhalb der Restaurants auch kurz eine Tschik, und da wurde ich schnell mal „Opfer“ des sogenannten „Gaijin-Nod“. Sprich: Zwei offensichtliche nicht-JapanerInnen sehen sich auf der Straße und nicken sich zu, so als ob die beiden mehr verbindet als die Hautfarbe. Ich nickte also brav zurück und der Kerl ruft mich gleich zu sich. Naja, wieso nicht, denk ich mir und plaudere. Er ist aus der Türkei nach Japan gekommen. Eine türkische Kebap-Kette hat in Japan läden eröffnet und braucht halt auch authentische Türken. Den Kebap hab ich nicht gekostet, aber er schaute den Kebaps die ich aus Wien gewohnt bin überhaupt nicht ähnlich. Übrigens kein Wunder: Schon mal das Essen in einem chinesischen Restaurant mit „echtem“ chinesischem Futter verglichen? Nein? Nun, echtes Chinafutter schaut anders aus und schmeckt auch anders. Das, was du vorgesetzt bekommst ist eruopäisierter Industriefraß mit chinesischen Phantasienamen.

Wir gingen weiter zu Youjis Geschäft, um seinen Arbeitskollegen (ebenfalls aus der Türkei) zu besuchen. Überhaupt ist Nagoya eine, für japanische Verhältnisse, ziemlich internationale Stadt. Auf der Straßen hört man hie und da Türkisch, Arabisch, Englisch, vor allem aber Brasilianisch und Spanisch. Wieso das? Anfang des zwangzigsten Jahrhunderts und nach dem zweiten Weltkrieg suchten hunderttausende JapanerInnen ihr Glück in Brasilien und einigen anderen südamerikanischen Ländern. Im Zuge des Wirtschaftsbooms der 70er und 80er brauchte Japan billige Arbeitskräfte und fand diese zu einem großen Teil in den Nachkommen der damaligen Auswanderer in Südamerika. Da sie „japanischen Blut“ hatten, bekamen sie recht einfach Aufenthalts und Arbeitsgenehmigungen. Auf diese, nach dem Abstammungsprinzip orientierte und klar rassistische Einwanderungspolitik komme ich vielleicht noch etwas später zu sprechen, mal schauen. Jedenfalls kommen bis heute tausende SüdamerikanerInnen nach Japan, vornehmlich um die Gegend rund um Nagoya, weil in den dortigen Autofabriken (Toyota, Nissan, Mitsubishi etc.) ständig Leute gesucht werden und sich viele JapanerInnen für diese schlecht bezahlten und knochenharten Jobs zu schade sind.

Das viele JapanerInnen oft einen rießengroßen Stock im Arsch haben und Spießig sind, wurde mir in der nächsten, krruzen Episode bestätigt. Mit Youji gingen wir in eine Imbissbude, wo ich mir eine „kuroke“ kaufte, ein kleines Fingerfood für zwischendruch. Die Verkäuferin wollte mir das Ding in eine Plastikbox einpacken, ich lehnte aber dankend ab und nahm die kuroke einfach so in die Hand und biss herzahft rein. „UUUUeeeeeEEEH!?!?“ war die Reaktion der Verkäuferin. Na, sowas hast wohl noch nie gesehen, alte Dame. Was für ein Barbar, dieser Gaijin, isst doch tatsächlich mit den Fingern und lässt sich seine 2 Bissen Futter nicht in doppelt soviel Plastik einpacken. „Wild isser, gell“, sagte Youji daraufhin und die Verkäuferin wusste nicht so recht, wie ich denn NUR KONNTE. In Japan fällt man halt schnell aus der Reihe…

Es war Zeit für mich, zum Konzert zu gehen. Es war später Nachmittag, aber da in Japan die Sonne generell um 7 untergeht, fangen halt auch die Konzis früher an. Ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber auch mal was anderes :3 Ich kaufte mir also ein paar Dosen Bier und schlenderte trinkend zur Location, dem „Club Quattro“, einem stadtbekannten „Live House“ (= Konzertlocation auf Japanisch) das bekannt für seine Punkshows ist. Was mich am meisten überraschte war die Tatsache, dass der Club im achten Stock eines Einkaufszentrums lag, direkt neben einem Kino. Japan ist unglaublich durchkommerzialisiert, Freiräume im europäischen Sinn (besetzte Häuser, autonome Zentren etc.) habe ich bisher noch nicht gesehen.
Oben angekommen wartete also eine Meute immer besoffen werdender Punks neben brav und sauber angezogenen KinobesucherInnen auf den Einlass. Ehrlich gesagt war ich ziemlich froh, als ich die kaputte Meute sah. Langsam hatte ich die klinische Sauberkeit und die damit verbundene stock-im-Arsch-Mentalität dieses Landes satt und brauchte eine Abwechslung. Und hier war sie, in voller Pracht: rülpsende, saufende, stinkende, laut lachende (yeah!), wild gestikulierende und von oben bis unten gepiercte und tätowierte PunkerInnen. Endlich!! Erleichterung…

Natürlich waren meine Asi-KollegInnen ziemlich erstaunt darüber, dass ein weißbrot-Gaijin es auf das Festival eines der japanweit ältesten und bekannteten Punk-Locations geschafft hatte. Noch dazu, weil in den nächsten zwei Tagen ausschließlich japanische Punkbands auftreten sollten, die meisten davon Oldschool-legenden.
Bei einer Tschick stellte sich mir Ken vor, ein älterer Punk in den 50ern mit einem bunten Iro, der sich sehen lassen konnte. Mit stolt geschwellter Brust gab er damit an, der älteste noch aktive Punk Nagoyas zu sein. Blablabla, geh kumm, gib ned so an, dachte ich mir… Was mir doch eher auffiel war das der auf dem Kopf stehende Reichsadler mit Hakenkreuz auf seiner Brust. Ich fragte ihn, wieso er das trug und Ken entgegnete mir, dass ihn die Anarchopunks am Arsch lecken könnten. Übrigens stand der umgedrete Reichsadler auf einem Bild vom Marx Charlie. Da machte sich jemand also über zwei entgegengesetzte Ideologien lustig. „Ich bin Oi!-Punk, scheiss auf Politik!“. Okay, solang er sich nicht als Nazi bekannte, konnte ich mir dieser Einstellung absolut leben. Rülpsend, pöbelnd, saufend, tätowiert und gepierct gegen die japanische Salaryman-Armee des Konformismus anzutreten ist vielleicht oft effektiver und unmittelbar befreiender als purer Polit-Aktivismus.

Um ehrlich zu sein, war die Nazipunk-Kacke einer von zwei Gründen, wieso ich nach Nagoya gekommen bin (der andere war die politisch unverdächtige Band „The Star Club“. Auf dem Festl sollte auch die Band „Strong Style“ auftreten, welche zumindest früher mal eine Nazi-Skin-Band war, mit eindeutigen Liedern wie „Für das Vaterland“. Mittlerweile sollen sie ihre Nazi-Einstellung sein gelassen haben, aber wenn eine Band mit SS-Totenkopf-Deko auf der Bühne steht, MUSS ich das Ganze doch einfach genauer beleuchten. Mich interessierte es, wie das ganze mit einer, von mir aus auch „unpolitischen“ Oi!-Punk-Attitüde zusammenpasste. Dabei ist es wichtig anzumerken, dass es sich hier im Japan handelt, nicht um Europa. Der europäische Faschismus bzw. der Nationalsozialismus wird hier von sehr vielen Menschen als ein sehr weit weg stattgefundenes Ereignis angesehen, das mit der japanischen Geschichte nur am Rande etwas zu tun hatte. Dementsprechend gering ist das Wissen über diese geschichtliche Zeit und der mit ihr verbundenen, mörderischen Ideologie. Ich bin mir ganz, ganz, ganz sicher, dass einige meiner LeserInnen jetzt denken „Boaaah, was für Barbaren!!“, aber hey, Gegenfrage: Wieviel weisst DU denn über die Geschichte des japanischen Faschismus und seiner kriegerischen Ausprägung? Na? Eben!
Japanische Bands die mit Nazi-Symbolik spielen sind dementsprechend nichts allzu seltenes. Besonders im Visual Kei-Bereich (= Emo-Goth-Metal für junge Frauen, um’s ganz plump zu erklären) gibt’s Bands die andauernd in NS-Uniformen auftreten. Dies geschieht jedoch eher aus Stylegründen bzw. weil’s irgendwie ja doch „verboten“ und „böse“ ist.
Offene, ideologisch motivierte Nazi-Sympathie ist also meistens nicht dahinter, sondern schlicht eine komplett andere, bzw. fehlende Geschichtsauffassung. Der NS ist etwas, von dem man mal gehört hat, und irgendwie sind die Westler auch ganz schockiert deswegen, aber das war’s dann auch meistens schon.

Aber zurück zu „Strong Style“. Well, dieses Ding hing auf der Bühne, als sie spielten.

What? SS-Totenkopf in Japan, Okay. Aber noch dazu mit großjapanischer Flaggensymbolik. Und eine klipp und klare Nazibandvergangenheit. Ab diesem Punkt war ich zu besoffen um mir noch weiter Gedanken darüber zu machen. Ich wollte noch etwas positives vom Abend haben, und wenn ich die Mysterium rund um den Umgang japanischer Punks mit faschistischen Ideologien lüften wollte, galt es vor allem mal nicht still nachdenkend in einer Ecke zu sitzen, sondern sich unter die Leute zu mischen. Was ich dann auch tat.
Was mich einerseits überraschte war, dass trotz der horrenden Bierpreise (umgerechnet etwa 3,50 für 0,25 Bier) niemand außer mir Bier in die Hittn reinschmuggelte. Weder gab es Taschenkontrollen am Einlass, noch machten die paar Securities Anstalten was gegen das Bier zu unternehmen. Oh, wohl, da fällt mir ein: Zwei Kerle hatten Whiskeyflaschen mit und teilten diese mit allen Umstehenden. Good times :3
Der Rest der Bands waren recht bekannte Namen, auch für Punk-affine Leute außerhalb Japans. „Cobra“ und die legendären „Samurai Attack“. Alles old-school Bands, weswegen auch das Publikum etwas gesetzter Schien als bei manch einem europäischen Punk-Konzert dieser Größe. Klar, in den vordersten Reihen waren die Youngsters die vom ersten Riff an Pogten was das Zeug hielt, aber sonst auch viele Leute um die 30. Ich fühlte mich also mal nicht wie jemand, der zum alten Eisen gehört 😉

Nach dem Konzert ging ich mit „meiner“ Partie dann noch in eine nahegelegene Ramen-Fressbude. Dort warteten auch schon dutzende andere Leute vom Konzert und schlugen sich den Bauch voll. Übrigens eine schöne „Tradition“ nach japanischen Punkkonzerten. Diese sind meistens schon vor Mitternacht zu Ende, es gibt aber meistens eine ausschweifende Afterparty in einem Lokal. Auch nicht schlecht, oder?
Weil ich klarerweise meine letzte U-Bahn verpasste, waren meine neuen Bekannten so nett mich mit dem Auto in mein Grätzl zu fahren. Der Fahrer war übrigens genauso wenig nüchtern wie ich, aber obwohl’s gefährlich war, fuhr ich mit. Ich weiss nicht, aber Japan mit seinen teils wirklich absurden Gesetzen verdient wirklich viel mehr Leute die auf all diese Gesetze und Vorschriften mal so richtig scheissen. Mit lauter betrunkenen Punkern in einem Auto durch Nagoyas Straßen zu fahren fühlte sich definitiv besser an als in der U-Bahn der Salaryman-Armee beim Schlangestehen zuzuschauen…
Achja, und noch was: Was mir in Japan oft abgeht sind herzliche Verabschiedungen und Begrüßungen mittels Umarmung. Stattdessen gibt’s meistens nur ein verschämtes Verbeugen. Bei den PunkerInnen war das ziemlich anders. Da wurde umarmt was das Zeug hält.

Am nächsten Tag wachte ich zwar ausgeschlafen, aber mit einem Mordskater auf. Nagoya gilt im Sommer als heißeste Stadt Japans und es hatte gefühlte achtunddrölfzig Grad und 500 Prozent Luftfeuchtigkeit. Ich beschloss, den Tag im Zimmer vor dem PC, bei eingeschalteter Klimaanlage zu verbringen. Das Konzert ging sowieso schon um 4 los.
Viel von den Bands habe ich am zweiten Tag wirklich nicht gesehen. Ich traf Leute wieder, die ich am Vortrag kennenlernte, schloss neue Bekanntschaften und versuchte so viel wie möglich zu quatschen. Mein Japanisch reichte leider nicht für allzu tiefgehende Diskussionen, aber einige Leute hab ich auch auf die ganze Nazikacke angesprochen. Auf die Frage, ob sie denn Nazis seien, kam ein empörtes „NEIN!!“, einige bezeichneten sich als Anarchisten, andere sagten mir, das is halt so „wie Sid Vicious, der hat damals auch Hakenkreuze zur Provokation getragen“. Auch das Wort 皮肉/Hiniku fiel, was wohl am ehesten als Sarkasmus/Ironie übersetzt werden konnte. Auch spielten an diesem Abend die Ryders, eine Anarchopunkband. Ich sah, dass ich mit meinen begrenzten Japanischkenntnissen mit meiner Frage nicht weit kommen würde und verlegte mich aufs feiern. Und das kann ich bekanntlich sehr gut :3
Alles in Allem hat mir Nagoya unglaublich viel Spaß gemacht. Es ist eine schirche Betonwüste, aber die Leute in einer Industriestadt sind bekanntlich oft mal ein wenig rauer unterwegs, was mir persönlich aber gefällt. Es war mein erster Kontakt mit dem, was mich an Japan in erster Linie interessiert: mit seinen Subkulturen. Nicht irgendwelche Tempel und die immergleichen TV-Shows und das Essen oder ähnlichen Touri-Kram sind es, auf das ich’s abgesehen habe. Ich will die Unterseite sehen. An meinen zwei Konzerttagen konnte ich Kontakte knüpfen und viel neues erfahren. Und das ist, für das erste mal, ja schon mal was.

Hier noch ein paar random Bilder vom Konzert und aus Nagoya.

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