Kochi – Tage #10 und #11

Meine nächste Station war Kochi und das dortige Yosakoi-Sommerfestival. Ich fand dort aber nicht nur tausende tanzende Menschen vor, sondern auch eine unglaublich lebendige Familie und lernte die dortige Punkszene kennen.

Das absolut coolste an der Zugfahrt nach Kochi ist definitiv die riesige Brücke, die Shikoku (die kleinste der japanischen Hauptinseln) mit Honshu (die größte der Inseln) verbindet. In schwindelerregender Höhe fährt man Kilometerweit übers Meer und hat einen grandiosen Ausblick auf die vielen kleinen Inseln, die Shikoku vorgelagert sind. Allein das war es die Fahrt schon wert.

Am Bahnhof Kochi angekommen wartete erstmal Midori, mein Couchsurfing-Host auf mich und ebenso traf ich das erste mal Jean, einen Franzosen der ebenfalls Japan bereiste und für die nächsten Tage mein Zimmergenosse sein sollte.
In Midoris Haus angekommen sagte sie zuallererst, dass „das Haus ein bisschen dreckig ist, was ja eigentlich nicht typisch für Japaner ist, aber ich bin keine typische Japanerin“. Naja, dreckig fand ich die Hütte überhaupt nicht, dafür aber vollgestopft mit Leben und positiver Energie. Aber dazu ein wenig später.
Zuerstmal musste ich mich dringend duschen und meine Wäsche waschen. Durch die unpackbare Hitze und die damit verbundene Schwitzerei hatte ich immer noch einen täglichen T-Shirt-Verbrauch einer durchschnittlichen Kleinfamilie. Nachdem für die Hygiene gesorgt war, ging es mit der ruckeldizuckel-Tram ins Stadtzentrum zum Yosakoi-Festival. Ach übrigens, die erwähnte Tram ist die älteste noch in Betrieb befindliche Japans. Lustig fand ich vor allem, dass man seinen Fahrschein den Kontrolleuren einfach in eine Tupper-Box schmeissen konnte. Hier war nicht viel zu sehen vom ach-so hochtechnologisierten Japan. Auch sympathisch.

Das Yosakoi-Festival ist ein riesiges Tanzfestival, welches vor etwa 60 Jahren von Geschäftstreibenden in Kochi ins Leben gerufen wurde um die lokale Wirtschaft anzukurbeln. Zwar erinnern die Kostüme der TänzerInnen oft an alte japanische Trachten, ist das Festival letztendlich doch ein recht modernes und hat mit Folklore nicht ganz so viel zu tun. Was es aber nicht weniger interessant macht.
Eine typische Yosakoi-Tanzgruppe schaut in etwa so aus: Einige dutzend Leute (meistens Frauen und Männer gemischt) folgen einem lauten(!!!) und reich verzierten Soundwagen, der meistens von einem lokalen Businnes gesponsort wird. Während die Musik spielt, wird im Gehen eine einstudierte Choreographie getanzt. Dem Zug folgt ein Fahnenschwinger. Die Choreographien und Kostüme der Gruppen sind allesamt unterschiedlich und reichen von fad bis phantasievoll und natürlich wird darum gebattlet, wer denn nun den schönsten und leiwandsten Tanz aufgeführt hat.
Es ist ein Spektakel und Volksfest sondergleichen.

Ich entschloß mich auch ein wenig die Seitenstraßen zu erkunden und wurde vom Chef einer kleinen Bar gleich auf Bier und Sushi eingeladen. „Ist selten, hier einen Ausländer zu sehen und noch seltener, wenn wer auch Japanisch sprechen kann. Prost!“ Bald schon gesellte sich eine gruppe junger Studenten aus Tokio zu uns, die auch für ein paar Tage zum Feiern nach Kochi gekommen waren. Dank ihrer passablen Englischkenntnisse und meines doch ziemlich holprigen Japanisch quatschten wir munter drauflos, tranken das ein oder andere Bier und frönten dem Lenz. Das Sushi ging aufs Haus, yeah.

Als nächstes wollte ich mal so richtig Tanzen gehen und entschied mich für eine Reggae-Bar, die schon ein paar Stunden vorher mein Interesse geweckt hatte. Vom Barchef der mich auf Sushi und Bier eingeladen hatte wurde ich freundlicherweise hingeführt und da er mit dem Besitzer der Reggae-Bar befreundet war, handelte er gleich auch einen Eintrittsrabatt für mich aus und führte mich wegen meines doch noch großen Hungers in eine klasser Ramen-Bude, wo ich erstmal eine Stärkung zu mir nahm.

In der „Love Jamaica“ genannten Bar wurde erstmal getanzt was das Zeug hielt. Dancehall, Hiphop und Roots-Reggae, wie es sich gehört. Die Hütte war Rappelvoll und man spürte, dass hier die ganze Stadt in Feststimmung war. Ausgelaugt, aber doch froh stolperte ich nach Hause und fiel ins Bett…

….nur um etwa 3-4 Stunden später von Midori, meiner Gastgeberin, aufgeweckt zu werden. Es war halb acht, ich restfett wie sonstwas und da fiel mir ein, was Midori mir am Vortag gesagt hatte: „Ich habe eine Regel in meinem Haus: Wenn du bei mir schlafen willst, musst du auch mit meiner Familie frühstücken. My House, my rules.“ Ich tat also wie mir befohlen wurde und erwartete das Schlimmste. Was ich bekam war aber das lustigste Frühstück auf meiner langen Reise 🙂
Midoris Kinder waren da, und sie waren laut, lachten andauernd, hüpften und liefen herum und Midori und ihr Mann ertrugen das ganze nicht nur mit stoischer Ruhe, sondern handelten die dreiköpfige Kinderschar mit einer Routine, dass es nur so ein Spaß war zuzuschauen. Total liebevoll und ohne zu schimpfen. Und vor allem gab es keine typisch japanischen Höflichkeitsfloskeln an denen sich das Gespräch weiterhangeln zu schien. Midoris Familie war anders, und das im bestmöglichen Sinne. Letztendlich machte ich mit den Kids zusammen Kanji-Übungen (=Schriftzeichenübungen) und ließ mir von den Dreikäsehochs neue Kanji erklären.
Und dann die Viecher, ach! Midori hatte einige Katzen, ein Hundewelpen und eine Ziege(!!) die im Garten herumblökte. Die Katzen sprangen überall herum, machten es sich auch auf meinem Schoß und Laptop gemütlich. Und mit dem ULTRASUPERSÜßEN Hundebaby unternahm ich einen Spaziergang durch die Nachbarschaft und schaute dem süßen Wautz dabei zu, wie er über seine eigenen Beine stolperte.

Nach ein paar Stunden Nachmittagsschlaf ging ich am Abend mit Midori wieder zum Yosakoi. Sie hatte sich einen Platz am Rand der Parade reserviert und einige ihrer FreundInnen gesellten sich zu uns. Nach ein paar Stunden hatte ich genug und entschloß mich für einen Locationwechsel. Eigentlich wollte ich ja zur Hauptbühne des Yosakoi, wo die SiegerInnen des Festes gekürt werden sollte, auf dem Weg dorthin sah ich aber eine Gruppe Punks am Gehsteig sitzen herumpunken. „Is denn heut ein Konzert hier?“ fragte ich und es kam en „Ja, klar!“. Der Laden hieß „Enjoy much Noise“ und war die Absteige der localen Punkcrew. Eines der Ziele meiner Reise war es von Anfang an, einen kleinen Einblick in japanischen Subkulturen zu bekommen und hier stolperte ich so mir nix dir nix drüber. Nix da, Eintritt gezahlt und rein in den Punkerschuppen.

Im Gegensatz zum Punkkonzert in Nagoya, von dem ich mir noch immer nicht sicher bin inwiefern es ein rechtes Punkkonzi war, war hier die politische Stoßrichtung klar: Anarchopunk. Es gab anarchistische DIY-Fanzines, Aufnäher mit eindeutig linken Botschaften und so weiter. Und vor allem gab es vom ersten Riff an Vollgaspogo, fliegende Bierbecher und natürlich ganz viel Liebe 🙂
Erst im Laufe der Konzertes wurde mir jedoch klar, wen ich heute überhaupt sehen werde. „Warhead“ stand auf dem Flyer und auf einmal fiel es mir wie Schuppen vor die Augen: Das ist doch diese legendäre Band! Alt wie Sau und gibt kaum noch Konzerte. Oida, JA!!!!!! Und es war eine Show, dass dich anscheisst, um es auf Österreichisch zu sagen. Laut, ranzig, Krawall dennoch mit Rücksicht auf Andere. Und es gab Dosenbier. So muss Punk sein.
Achja, und nur der Vollständigkeit halber: Der Laden bestand nicht nur aus der Konzerthalle, sondern auch aus einem Punkshop. Dort gab es Platten, T-Shirts, Aufnäher und Krimskrams ohne Ende.

Glücklicherweise lernte ich am Konzert eine in Kochi lebende Kanadierin kennen, welche sich als Sake-Brauerin(!!) verdingte und fließend japanisch sprach. Sie war deswegen auch meine Türöffnerin für die Kochi-Punkszene, da sie freundlicherweise als Übersetzerin einsprang, wenn mein Japanisch mal wieder nicht ausreichte. Und so konnte ich nach dem Konzert mit den Bands und der lokalen Punkercrew in die nächstgelegene Izakaya wo die Aftershowparty stattfand. Diesmal ganz traditionell, in einem Tatami-Matten-Raum, am Boden sitzend und mit traditionellem japanischen Essen. Ich unterhielt mich mit Toshi, dem ehemaligen Drummer der legendären Kochi-Punkband Disclose und erfuhr trotz meines begrenzten Wortschatzes doch einiges über die lokale Punkszene. Zum Beispiel, wie Punks aus ganz Südostasien nach Kochi pilgern, um das Grab des an einer Überdosis verstorbenen Disclose-Sängers Kawakami zu besuchen.

Einen kulturellen Fauxpas leistete ich mir auch. Wie in Japan oft üblich, schenkten auch die weiblichen Punkerinnen brav nach, wenn das Glas leer war und boten einem Essen an. Ich kam mir vor, wie ein Pasche von seiner Konkubine bedient wird und fragte meine Sitznachbarin, wieso denn nicht Männer auch mal den Frauen einschenkten. Sie sagte mal nichts und schaute mich mit einem „Ey du blöder Gaijin, so is das nun mal in Japan!“-Blick an und ich beschloss in den „when in Rome“-Modus zu schalten. Für eine tiefergehende Diskussion über sexistisches Verhalten in einer anarchistisch orientierten Szene reichte mein Japanisch bei weitem nicht aus und hier, bei einem Umtrunk an den patriarchalen Grundfesten der japanischen Gesellschaft zu rütteln war auch mehr als unangebracht.
Nach ein paar Drinks und sehr seichten Gesprächen meinerseits (Sprachbarriere, tja…) stieß ich an mein Limit und beschloss, heute nicht mehr der deppate Ausländer zu sein, den keiner Verstand. Der Abend war aber grandios, spaßig und ich um viele Erfahrungen reicher.

Kochi war, um es kurz zu sagen, eine kleine und etwas verschlafene Stadt. Dafür waren die Leute aber offen und warmherzig wie ich es sonst noch nirgends in Japan erlebt hatte.

Und wie immer, hier noch ein paar Bilder 🙂

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