Altsdtadtzauber in Kyoto. Tag #9 in Japan

Nach dem verhunzten gestrigen Tag, schwor ich mir, es heute nicht so weit kommen zu lassen. Nach dem Aufwachen war ich erstmal leicht verlegen, weil ich meinen GastgeberInnen soviel Umstände gemacht habe. Was mich aber froh stimmte war die Buchsammlung von Taka, meinem Host. Bücher über Kunst, SciFi-Klassiker, Standardwerke der Weltliteratur, obskures Zeug, ganz ganz tolle Mangas. Taka und seine Frau, waren augenscheinlich belesene Menschen mit Geschmack. Sowas mag ich :3

Meine erste „große“ Tat an diesem Morgen war einmal eine längst fällige Rasur. Der Käpt’n Iglo-Look ging nicht nur mir auf den Geist, sondern passte schlicht nicht nach Japan. Hier rasieren sich die meisten Männer gründlich bzw. achten auf ihren Bart. Und Deo. Ganz viel Deo. Ich schwitze schon im Allgemeinen sehr viel, aber in Japans brütender Sommerhitze und bei extremer Luftfeuchtigkeit werde ich zur wandelnden Schweissfabrik. Gestank inklusive. Und Wäsche waschen. Endlich Stinkewäsche waschen. Yeah, oida!!
Takas Frau bereitete mir ein absolut grandioses Frühstück vor, welches mich nicht nur satt machte, sondern auch ur-gesund war. Thank you for the great breakfast, you are the best 🙂 Was ich auch toll fand war die Tatsache, sich Takas Frau (Name vergessen, ähem) sich gut mit alternativer Musik und sonstigen interessanten popkulturellen Dingen auskannte. Wir sprachen über gute Mangas, über Bands, ein wenig über Politik, über die (mangelnde) Qualität des Englischunterrichts in Japan, und und und. Es war interessant und befreiend Menschen zu treffen, deren Horizont viel weiter reicht als nur bis an die Grenzen Japans. Achja, und wir sprachen auf Englisch, mein Japanisch reicht für derartige Gespräche bei weitem nicht aus.

Als erstes Ziel meines heutigen Tages hatte ich mir den Biwa-See ausgesucht. Ich wollte schon gestern dorthin baden gehen, aber bekanntlich ging da alles den Bach runter. „Revenge“ war also angesagt, koste es was es wolle. Also mit der Tingeltangel-Lokalbahn bis nach Woswasi gefahren und dort zum nahegelegenen Strand. Juchee, da See!!!

Der Biwa-See/琵琶湖 ist übrigens der größte See Japans. Und mit groß meine ich FETT groß. Neusiedlersee-Style-Groß, oder noch größer, müsste ich nachschauen hab aber keinen Bock. Auf jeden Fall gibt’s rund um den See zahlreiche Werften, Fischereibetriebe und natürlich auch Badestrände. Ob sich irgendwelche Legenden um den See ranken kann ich nicht beantworten, dafür erzähl ich euch aber meine.
In dieser geht es um das geheimnisvolle Volk der Japaner und ihr Leben am Rande des großen Wassers. Als ich sie besuchen kam, sprachen sie in fremden Zungen, welche für Außenstehende oft schwer verständlich sind. Sie kamen niemals alleine zum großen Wasser. Nein, sie hingen aneinander wie Kletten, als ob aus dem großen Wasser in Bälde Gefahr zu kommen drohte. Inmitten der Vielzahl der Gruppen meist junger Leute befand sich eine Feuerstelle, vergleichbar mit unserem europäischen „Grill“. Daraufhin legte ein meist männlicher junger Japaner nach und nach Stücke getöteten Tieres. Es war ein großes Fressen, welchem sich die Gruppen hingaben.
Ich war alleine am großen Wasser. Doch nicht nur dies, ich war sofort als Schlammblut erkennbar. Hellere Haut und Augen so groß wie Teller. Über Schlammblütler wie mich erzählten sich die Japaner, dass sie Kinder fressen und „kowai/恐い“ sind, also „beängstigend“. Ich bewegte mich dementsprechend vorsichtig, da ich nicht ebenfalls als Stück rohes fleisch auf der Feuerstelle landen wollte….

Achwas, mein Besuch am See hatte keine coole Pointe die ich meiner Pseude-Legende verwursten könnte und ich bin gerade zu unkreativ mir irgendwas lustiges einfallen zu lassen. Ich schreib einfach normal weiter, nicht so pseudo-märchenmässig.

Ich ging schwimmen. Durch die extreme Hitze war das Wasser so aufgeheizt, dass es sich eher wie lauwarme Suppe anfühlte. Als ich an einer Gruppe japanischer Kinder vorbeischwomm, schreite einer der kleinen laut „Ein Ausländer!/外人だ!“ und sagte seinen japanischen Kumpels, dass ich ein Amerikaner wäre. Ich daraufhin „Nö, ich bin Europäer“, wobei ich aber zweifle, dass er überhaupt wusste was und wo „ヨロッパ/Yoroppa“ denn ist. Jedenfalls har er mich noch (auf englisch!!) „How do you like Japan?“ gefragt und als ich ihm daraufhin „Ich liebe Japan/日本大好き” entgegnete, strahlte der kleine vor Glück :3

Nach ein paar Längen im See, billigstem ranz-Udon (=eine Sorte Nudeln) und einem Sonnenbad fuhr ich zurück nach Kyoto, um mich mit Taka zu treffen, da er mich zu einem Shamisen-Konzert eingeladen hatte. In Kyoto angekommen musste ich, wieder mal, lachen. Worüber? Nun, darüber, dass sehr, sehr viele Leute in Japanischen Großstädten ihre eigenen Hoods nicht kennen zu scheinen, geschweige den Karten lesen können. Ich bin etwa 15mal in die falsche Richtung geschickt worden („Nein, Herr Japaner, das kann nicht sein, aus dieser Richtung bin ich gekommen!“ – „Also bitte Herr Gaijin, ich lebe hier, es ist SICHER in dieser Richtung!“ – Der Gaijin hatte Recht, der Local ned), die Leute haben meine ausgedruckte Karte mal so und mal anders in der Hand gehalten, mal hierhin gezeigt und mal dorthin. Im Endeffekt hat mir ein japanischer Tourist geholfen, der auch das erste Mal(!) Kyoto besuchte. Kann mir mal irgendwer von meiner japanischen LeserInnen dieses Blogs erklären, wieso in Japan anscheinend niemand seine eigene Umgebung oder Stadt kennt? Hat es vielleicht etwas damit zu tun, dass die Leute hier so viel arbeiten und sich deswegen auf der Straße grundsätzlich nicht ganz so viel Leben abspielt? Hat es was mit der Verschlossenheit vieler JapanerInnen zu tun? Ich hab keine Ahnung…

Ich fand also die klitzekleine Bar, in die mich Taka zu einem Shamisen-Konzert eingeladen hatte. Erwartet hatte ich mir eine piekfeine Halle mit glattgeleckten Leuten, die im imperialen Ambiente den Klängen alter japanischer Volkslieder zuhören und sich nach dem Konzi brav verbeugten. Bekommen habe ich ein alternatives Lokal mit den verschiedensten Leuten. Hier der Transvestit im Kimono, der sich aber so richtig benahm wie eine vornehme und scheue Dame aus dem alten Japan. Dort der ältere Programmierer, der in Kyoto lebt, in Osaka arbeitet, seine Freundin in Hiroshima hat und auf Kinder und Heirat sein Lebtag geschissen hat. Dann zwei uralte Ehepärchen, für die das halbe Lokal Platz gemacht hat, damit sie einen Sitzplatz bekommen. Und natürlich der Tätowierte Punker. Die Leute hätten unterschiedlicher nicht sein können und ich fand das klasse.

Okay, aber jetzt pssscht, weil das Konzert beginnt gleich. Weisst eh, traditionell und Shamisen und die Shamisen-Spielerin und die Sängerin und auch andere Leute sind traditionell angezogen gekommen und man hört die Djembe… Die WAS? Die Djembe??
Jepp, die Djembe. Also Trommeln (aus Afrika, glaubich).
Das war keineswegs ein stinknormales fades Shamisen-Konzert. Was ich geliefert bekam waren zwar alte japanische Volkslieder, aber diesmal mit Djembe-Begleitung. Und die Sängerin erst!! Nix da mit verschämt und ultrahöflich einen auf Folklore machen. Die Frau hüpfte herum, tanzte, lachte, forderte das ganze Lokal zum mitsingen auf und verbreitete eine fröhliche Stimmung, dass es nur so eine Freude war. Nach dem offiziellen Teil des Konzerts ging der Spaß aber erst so richtig los. Nachdem sich das Publikum gscheid einen angesoffen hatte, wurde halt gemeinsam improvisiert und gejammt. Und gemeinsam gesungen. Sogar ich sang ein Lied eines meiner slowenischen Lieblingssänger, haha :3
Oft heißt es ja, dass japanische Frauen sehr zurückhaltend und stille, gefolgsame Mauerblümchen sind. Well, zwei Frauen die hier das Konzert spielten waren alles andere als das. Die waren (vor)laut, selbstbewusst, redselig und rissen Schmähs ohne Ende.
Hier übrigens ein Video, das ich vom allerersten Lied des Konzerts gemacht habe. Die Stimmung war da klarerweise noch nicht so am kochen, mir hat’s aber schon da die Ganslhaut aufgestellt.

Sowohl Taka und ich hatten noch nicht genug. „Heut gemma saufen!“, beschlossen wir und zogen mit ein paar von Takas StudentInnen (jep, er ist Unilehrer) in die nächste Bar. Dort wurde erstmal Essen und Bier bestellt. Und wieder Bier. Und wieder Essen. Letztendlich waren wir alle rotzbesoffen, erzählten uns Witze, schwelgten in guten alten Zeiten, erzählten uns Geschichten und haten eine Mordsgaudi. Und ja, wir machten, wie es sich gehört, auch dumme Fotos.

Am Heimweg fing Taka dann noch Yumi Arais Klassiker „Hikoukigumo/飛行機雲” zu singen an und da ich den Text kenne und das Lied einer meiner absoluten Lieblinge ist, stimmte ich mit ein. Taka war total überrascht, wie ich als Gaijin dieses Lied denn überhaupt kennen könnte, worauf ich ihm entgegnete, dass ich es das erste mal in Hayao Miyazakis letzten Film „Wenn der Wind sich hebt/風立ちぬ”gehört habe und es seitdem auf meinem MP3-Player ist.
Sternhagelvoll und mit einem guten Gefühl im Magen nahmen wir uns ein Taxi nach Hause.
Was für ein klasser Abend. Taka, ganz, ganz, ganz, ganz, ganz vielen lieben Dank dafür!! Deine Frau und du sind zwei der nettesten Menschen, die ich in meinem Leben kennenlernen durfte. Und Kyoto ist eine tolle, tolle Stadt.

Und hier noch ein paar random Bilder von meinem Kyoto-Aufenthalt.

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